> Interview: Alexander Leopold, Vorstandsvorsitzender der Erwin Hymer Group

„Neukunden nicht aus den Augen verlieren"

31.01.2023
Text: Simon Ribnitzky, Claus-Georg Petri | Bild: Claus-Georg Petri

Alexander Leopold, der Vorstandsvorsitzende der Erwin Hymer Group, erklärt, wie der Reisemobil-Marktführer in Europa mit den Krisen der Gegenwart umgeht – und ob Reisemobile künftig wieder günstiger zu haben sind.

RMI: Herr Leopold, Energiekrise, gestörte Lieferketten, fehlende Chassis – mit welcher Strategie begegnet die EHG diesen Herausforderungen 2023?

Alexander Leopold: Wir stellen uns darauf ein. Wir müssen wachsam sein, flexibel bleiben und ständig neu planen. Ein Thema ist die Chassis-Diversifizierung. Das haben wir schon vor Monaten erkannt und zusätzlich auf weitere Partner gesetzt. Daher sind wir mit Ford eine strategische Partnerschaft eingegangen.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Ford?

Wir haben in Rekordzeit für sechs Marken Reisemobile auf Ford-Chassis aufgebaut. Dennoch: Fertige Chassis erreichen uns nicht immer rechtzeitig, weil es oft zu wenig Transport-Kapazität und zu wenige Lkw-Fahrer gibt.

Das Hauptproblem dürfte bei Fiat liegen. Die Produktion des Ducato der Serie 8 ist ausgesetzt, die Serie 9 für Mitte 2023 angekündigt. Wie geht die Zusammenarbeit mit Fiat für Sie weiter?

Wir gehen davon aus, dass sich auch für Fiat die Situation konsolidiert und dass wir in ruhigeres Fahrwasser kommen. Aber das kann noch einige Monate dauern.

Haben Sie den Eindruck, dass Fiat als Teil des Konzerns Stellantis den Blick nicht mehr so stark auf den Bau von Reisemobil-Chassis lenkt?

Fiat bestätigt uns, die Reisemobil-Branche nach wie vor im Fokus zu haben.

Sind weitere neue Basisfahrzeuge geplant?

Ja. Zum Beispiel kooperiert Dethleffs mit Nissan, und auch für die anderen Marken der EHG gibt es zusätzliche Chassis-Hersteller. Aber darüber entscheiden die Marken selbst, so sieht das unsere Strategie vor.

Reisemobile haben sich sehr verteuert. Werden die Preise 2023 weiter so stark steigen?

Es ist richtig, Reisemobile sind signifikant teurer geworden. Wir als EHG versuchen, weiterhin Marken mit Produkten zu haben, die sich Kunden leisten können. Das ist in Zeiten, in denen Rohstoff- und Energiepreise hoch gehen, nicht immer einfach. Wir wollen Neukunden nicht aus den Augen verlieren und preislich attraktive Reisemobile anbieten. Unser Ziel ist nicht, nur Premiumfahrzeuge anzubieten.

Das ist Definitionssache. Die Preise für Reisemobile haben um bis zu 40 Prozent zugelegt. Für den Familienvater ist schon der Einstiegspreis von 50.000 bis 60.000 Euro hartes Brot.

Stimmt. Da hat uns die Zeit eingeholt. Wir sind am Markt gar nicht so schnell hinterhergekommen, wie sich die Preise entwickelt haben. Aber im Hintergrund laufen bei unseren Marken diverse Projekte, um die Preise niedrig zu halten.

Was sind das für Projekte?

Sehr unterschiedlich. Es geht dabei um die Ausstattung von Fahrzeugen, um Funktionen und Paketzusammenstellungen. Ziel ist, speziell im Einstiegsbereich preislich attraktiv zu bleiben.

Falls Sie das nicht schaffen, wird das Reisemobil ein Fahrzeug für Reiche. Befürchten Sie, dass Ihnen Kundengruppen wegbrechen?

Das befürchte ich nicht. Unsere Kunden schätzen die Qualität und Werthaltigkeit unserer Fahrzeuge mehr denn je. Mit unseren Marken sind wir breit aufgestellt und haben auch in Zukunft für jeden Kunden das passende Angebot.

Befürchten Sie, dass angesichts Corona, Ukraine- Krieg, gestörten Lieferketten, Rohstoffmangel, Lieferschwierigkeiten und unsicheren Preisen das Interesse am Reisemobil verloren geht?

Das Interesse am Caravaning hat in den letzten Jahren stetig zugenommen und ist weiterhin hoch. Irgendwann endet auch diese Krise.

Glauben Sie, dass wir in einem Jahr an einem Punkt stehen wie vor Corona?

Hellseher bin ich nicht. Aber die Lieferketten werden sich stabilisieren, weil sich die Wirtschaft darauf einrichtet.

Werden nach dieser Krise Reisemobile wieder billiger? Schließlich sind dann einige Probleme gelöst, Rohstoffe und Energie wieder billiger.

Eine valide Aussage lässt sich nur sehr schwer treffen. Wir hoffen, dass sich die Märkte beruhigen und die starken Preisanstiege der vergangenen Monate ein Ende finden.

Welche Tendenzen spüren Sie im Markt?

Es gibt einen Trend zu kompakteren Fahrzeugen. Deshalb investieren wir in Urban Camper. In dem Bereich haben diverse Marken der EHG Projekte laufen. Mit diesem Segment versuchen wir, auch Familien Fahrzeuge anbieten zu können, die sie sich leisten und mit denen sie Urlaub machen können.

Welche Rolle spielen dabei Ihre Vermietketten?

Eine große. Kunden, die sich kein Neufahrzeug leisten wollen, können über die Vermietung in unsere Urlaubsform eintreten. Nach dem ersten Urlaub im Wohnmobil entscheiden sie sich dann häufig für einen Kauf.

Mit www.freeontour.com bietet die EHG Stell- und Campingplatzsuche sowie Routenplanung übers Internet. Wie wird das angenommen?

Wir haben deutlich über 90.000 Nutzer auf dieser Plattform. Sie hat in den letzten Monaten klar an Relevanz gewonnen: Reiseberichte, unser Tourenplaner und Informationen zu Reisezielen sind sehr gefragt.

Immer mehr neue Wohnmobile erfordern eine bessere Camping-Infrastruktur. Was tut die EHG für den Ausbau der Stellplatz-Infrastruktur?

Wir führen viele Gespräche mit Regionen. Wir setzen uns für Stellplätze ein, investieren aber nicht in sie. Das ist nicht unsere Strategie. Aber wir kooperieren mit Partnern wie zum Beispiel www.landsichten.de, der größten deutschen Buchungsplattform für Urlaub auf dem Bauernhof.

Haben Sie Erkenntnisse darüber, inwieweit sich Ihre Zielgruppe verjüngt hat?

Wir führen jährlich eine internationale repräsentative Studie durch mit Tausenden von Teilnehmern. Sie zeigt, dass sich unsere Zielgruppe jedes Jahr verjüngt. Der Anteil der 20- bis 39-Jährigen, die ihren Urlaub im Reisemobil oder Caravan verbringen, hat sich in den vergangenen fünf Jahren um zehn Prozent erhöht.

Wie wirkt sich das auf die Entwicklung Ihrer Fahrzeuge aus? Mit sinkendem Durchschnittsalter verändern sich die Ansprüche der Kunden.

Genau. Deshalb investieren wir in Camper Vans und Urban Camper, also in alltagstaugliche Fahrzeuge. Viele Kunden möchten kein großes Reisemobil, eher ein kompaktes Freizeitfahrzeug.

Wie widmen Sie sich der E-Mobilität, die ebenfalls auf die veränderten Rahmenbedingungen zurückgeht?

Im ersten Schritt wird die Elektrifizierung bei kompakten Fahrzeugen durchschlagen. Wir werden im Frühjahr den Crosscamp Zafira-E in Serie produzieren. Wir wollen aber nicht nur Nischen bedienen, wir wollen, dass die Masse unserer Kunden entsprechende Angebote bekommt.

Und das schaffen Sie noch nicht?

E-Mobile werden nicht in den nächsten Monaten kommen. Die Chassishersteller bieten noch keine Produkte mit zufriedenstellender Reichweite an.

Ist der neue E-Sprinter für Sie interessant, den Mercedes- Benz angekündigt hat? Immerhin soll er über eine Reichweite von bis zu 400 Kilometern verfügen.

Auch das dauert noch. Aber er könnte ein Thema sein. Aktuell ist die Nachfrage der Kunden noch nicht sehr groß. Vielleicht wäre das anders, wenn es ein Angebot gäbe.

Mit Blick auf die 3,5-Tonnen-Regelung stoßen gerade E-Reisemobile an Gewichts- und Führerscheingrenzen. Wie reagieren Sie darauf, abgesehen vom Leichtbau?

Über den CIVD läuft ein vielversprechender Vorstoß, in der EU die Gewichtsgrenze für den normalen Autoführerschein von 3,5 auf 4,25 Tonnen anzuheben. Unser gemeinsames Ziel ist, dass dieser Vorstoß erfolgreich ist. Diese Chance gibt es nicht jedes Jahr.

Was würde dieser Erfolg bedeuten?

Mehr Kunden dürften Fahrzeuge fahren, die sie bisher nicht bewegen dürfen.

Unser gemeinsames Ziel ist, dass der Vorstoß für die Führerscheinnovelle erfolgreich ist.
Alexander Leopold, Vorstandsvorsitzender der Erwin Hymer Group

Und Sie müssten für viel mehr Kunden viel mehr Fahrzeuge bauen.

Müssten? Dürften, meinen Sie. Das wäre schön. Es wäre kein Problem der Kapazität.

Ist E-Fuel ein Thema für Sie?

Sicher, auch wenn wir nicht in die Entwicklung alternativer Kraftstoffe investieren. Dennoch müssen auch die vielen Millionen Bestandsfahrzeuge in Deutschland und Europa zu unseren Klimazielen beitragen.

Wie geht die EHG mit Nachhaltigkeit um?

Wir haben sehr viel in unsere Werke investiert. An vier Standorten haben wir Holzschnitzelheizungen installiert, um den Anteil an selbst erzeugter Energie weiter auszubauen. Da verbrennen wir Restholz aus eigener Produktion. Darüber hinaus installieren wir aktuell an zahlreichen Standorten Photovoltaikanlagen, um grünen Strom zu erzeugen.

Wie geht diese Strategie bei der EHG weiter?

Jeder unserer Standorte bezieht seinen Strom und seine Heizung aus regenerativer Energie. Seit dem 1. August 2021 produzieren wir an allen Standorten klimaneutral. In den letzten drei Jahren haben wir unseren CO₂-Ausstoß um mehr als 50 Prozent reduziert. Unser nächstes Ziel ist, unsere Emissionen bis 2030 um weitere 50 Prozent zu verringern.

Seit 2019 gehört die EHG zum US-amerikanischen Thor-Konzern. Wie sieht die tägliche Zusammenarbeit aus?

Thor ist Marktführer in Nordamerika, wir sind stark in Europa. So haben wir uns die Märkte gut aufgeteilt. Natürlich suchen wir Synergien. Wir sind im täglichen Austausch. Am kompliziertesten ist allenfalls die Zeitverschiebung.

Wie viel Einfluss auf das Tagesgeschäft nehmen die Amerikaner?

Wir entwickeln unsere Fahrzeuge komplett selbst.

Und wie ist das bei Ihren stark reduzierten Messe- Auftritten? Unterliegen Sie einem Spardiktat?

Ich weiß nicht, woher dieses Gerücht stammt, aber das hat nichts mit unserer Muttergesellschaft zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass sich das Messemarketing verändert, hin zum Digitalen.

Vergessen Sie dabei nicht die Emotion, die sich auf einer Messe viel besser vermitteln lässt?

Das ist keine Frage von entweder – oder. Messe- und Digitalmarketing sind wichtige Instrumente. Unser Ziel ist die optimale Balance und der nahtlose Übergang von physischen und digitalen Markterlebnissen, die unsere Kunden begeistern.

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