Wenn ein Sportler alle extremen Wettbewerbe gewonnen hat, dann muss er sich etwas Weiterführendes einfallen lassen. Eine außergewöhnliche Idee hatte Joey Kelly, Mitglied der Kelly Family: In seinem VW T1 wollte der 47-Jährige von Berlin aus nach Peking fahren. Auf dem Beifahrersitz: sein Sohn Luke, 19. Um der Tour jedweden Anstrich des Alltäglichen zu nehmen, startete das Team ohne Geld, ohne größere Spritreserven und ohne Proviant an Bord. „Wir wollten uns unterwegs Hilfe bei den Menschen erbitten, die wir treffen“, erklärt Joey Kelly diese Art des Reisens. „Dafür ist jeder, der uns half, namentlich in dem Buch „Bulli Challenge“ erwähnt, das auf dieser Reise entstanden ist.“
Dass bei der Tour ein T1 zum Einsatz kommen musste, lag nahe: Ein solcher Bulli war das erste Vehikel der Kelly Family und gilt für Joey Kelly als das schönste Auto der Welt. Möglicherweise jedoch rangiert seit der Marathon-Tour auf seiner Beliebtheitsskala ein Carthago knapp dahinter. Ein C-Tourer fungierte als Begleitfahrzeug – in ihm ein Kamerateam und Fotograf Thomas Stachelhaus. Obwohl Joey Kelly den Integrierten nie gefahren hat, weil er ständig am Steuer des VW saß, schwärmt er vom Komfort an Bord: „Kochen, schlafen und sogar duschen – das ist doch sensationell.“ Und das Beste: „Der VW hatte viele Pannen, der Carthago keine.“ Früher, so erinnert sich der Musiker und Marathon-Mann, hätte seine Familie von solchem Luxus nur träumen können.
Dieses Früher liegt nun schon einige Jahrzehnte zurück. Vor 40 Jahren wurde die Kelly Family, damals zu zehnt (!) unterwegs in dem VW T1, in Rom ausgeraubt. Vater Dan Kelly besann sich seiner Fähigkeiten: Die Familie könne auf der Straße musizieren und damit Geld verdienen. Er nannte sein Konzept „Irish Corner“ und spielte damit auf seine irischen Wurzeln an. Angesichts ihrer ersten Erfolge tingelten die Kellys durch Europa. „Unser Vater hat dabei einen Grundsatz in uns eingepflanzt: „Gib mehr, als du nimmst.“ Dieses Motto sitzt tief in Joey Kelly verankert und begleitet ihn seit den Anfängen der Musik der Kelly Family. Die gab ihr erstes größeres Konzert 1974 auf dem Plaza Mayor in Madrid als Straßenmusikanten. Ihren ersten Plattenvertrag erhielt die Kelly Family 1979 bei Polydor – und ließ sich auf einem Campingplatz bei Hamburg nieder.
Der wahre Durchbruch indes ließ bis 1994 auf sich warten: Das Album „Over the Hump“ (deutsch: über den Berg) bescherte der Familie internationalen Erfolg. Die Kellys traten auf mit Joe Cocker, mit Lionel Richie, aber auch mit Luciano Pavarotti. Eine Laudatio hielt einst Tina Turner. Über 20 Millionen Alben verkaufte die Musikgruppe, in ihrer besten Zeit gab sie 180 Konzerte pro Jahr. Das Zuhause der Kelly Family war stets außergewöhnlich: mal ein Hausboot, mal ein Doppeldeckerbus. Das Leben in den mobilen Wänden – mal abgesehen von dem Schloss Gymnich, das die Kellys eine Zeit lang bewohnten – hinterließ Spuren: Joey Kelly liebt es, unterwegs zu sein. Auch, um sich sportlich zu messen.
Der erste Triathlon ging auf eine Wette mit seiner Schwester Patricia zurück – die er grandios verlor. Sie war fitter als er. Ansporn genug, zu trainieren. Ein Jahr später schon trat Joey Kelly zu seinem ersten Ironman an: 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Rad fahren, 42,2 Kilometer laufen. Seither strahlt ein neuer Siegertyp am Himmel des Extremsports. Unzählige Wettkämpfe rund um den Globus schlossen sich an, Spendenmarathons und Weltmeisterschaften vieler Disziplinen. Auch solche wie 24 Stunden gegen eine Rolltreppe zu laufen, aber auch der Wettlauf zum Südpol. „Der Ausdauersport“, da ist sich der Familienvater ganz sicher, „bildet das Fundament zum Erfolg, denn er erfordert Mut.“ Daraus ergibt sich einer seiner Leitsätze: „Das ganze Leben ist ein Marathon.“
Seinen Sport betreibt Joey Kelly überall auf der Welt, Konzerte führten ihn in alle möglichen Länder – und nun der VW T1 von Berlin bis nach Peking. Die Reiseroute leitete ihn und seinen Sohn Luke über das Baltikum, die Weiten Russlands, Kasachs- tans und der Mongolei bis nach Peking: zehn Länder in 55 Tagen. In Polen, Litauen, Lettland und Estland war es angesichts der Freizügigkeit in der EU leicht, zu reisen. Joey Kelly erinnert sich: „Je weiter wir nach Osten kamen, desto schwieriger wurde es, die Grenzen zu übertreten.“
Willkür, aber auch der Anspruch einiger Regime, über Menschen zu regieren, hätten die Reise an den Schlagbäumen manchmal fast scheitern lassen. „China war dabei sehr speziell“, sagt Joey Kelly. „Wenn die Grenzer nicht wollen, dass du reinkommst, dann bleibst du draußen.“
Unkompliziert indes waren die Menschen unterwegs. „Die haben über den Mini-Bully mit dem riesigen Reisemobil ordentlich gestaunt.“ Nachdem alle sich die Fahrzeuge haben anschauen können, hätten die Reisenden mit den Einheimischen geredet. „Und sie haben uns so geholfen wie erhofft“, sagt Joey Kelly. Tatsächlich findet sich eine Liste aller Menschen, welche die Expedition unterstützt haben, in dem Buch „Bulli Challenge“ wieder. „Und jeder hat ein Buch als Dankeschön zugeschickt bekommen.“
Tatsächlich war diese Reise eine Challenge, eine Herausforderung. „Wir wussten nicht, ob unser Konzept, ohne Geld zu reisen, aufgeht. Aber es hat funktioniert, die Menschen haben uns geholfen.“ Wohl in erster Linie deshalb, weil sich Joey und Luke Kelly in den besuchten Ländern ganz normal gegeben haben – obwohl sie für manchen wie Gäste von einem anderen Planeten gewirkt haben müssen. Um einen normalen Umgang miteinander zu ermöglichen, schlummerte das Motto, unter dem diese Reise stand, zu tief in Joey Kelly: „Glück ist kein Zufall.“ Will meinen: Für dein Glück musst du etwas tun. Offensichtlich haben Joey und Luke Kelly das Richtige getan.