> 35 Jahre Reisemobil International

Reisen damals und heute

26.05.2024
Bild & Text: Claus-Georg Petri

Vom Mauerfall bis zum Reisemobil-Boom: Die vergangenen dreieinhalb Jahrzehnte stecken voller Überraschungen, auch in puncto Reisen. Blick zurück und nach vorn: wenn nicht zum Jubiläum von Reisemobil International, wann dann?

Schlägt ein Schmetterling mit den Flügeln, könnte er damit einen Taifun auslösen. Dass sich ein kleines Ereignis riesig auswirken kann, beschreibt die Chaostheorie mit dem Begriff „Schmetterlingseffekt“. Als im Sommer 1989 ein winziger Verlag in Stuttgart-Untertürkheim die Erstausgabe der Zeitschrift Reisemobil International für fünf Mark rechtzeitig vor dem Caravan Salon in Essen auf den Markt brachte, war das, global betrachtet, ein eher kleines Ereignis. Was sich daraus alles entwickeln sollte, dürfte indes als großartig gelten. Noch war das Blatt nicht riesig, die Zukunft aber erschien rosig.

Blick übers Wasser: Nach dem Fall der Mauer fuhren viele Urlauber auch nach Westpommern, sie durften an der Kirche stehen.

Das Jahr 1989 war geprägt von Aufbruch. Im Osten rumorte es weit über die östlichen Grenzen der DDR hinaus. Der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow nährte die Hoffnung auf Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umbau). Der Eiserne Vorhang schien zu verrosten. Tatsächlich meldete die Erstausgabe von Reisemobil International: „Individuelle Reisen in die UdSSR organisiert neuerdings die ADAC Reise GmbH. Dabei sind die Teilnehmer der siebentägigen Touren weder an einen festen Termin noch an eine organisierte Gruppe gebunden.“

Weniger für Alleinreisende denn für geplante Perestroika-Tours knüpften noch im selben Jahr Günter Frommen und Peter Rettau vom Campingplatz Schinderhannes Kontakte zu den sowjetischen Verkehrs- und Dienstleistungsministerien in Moskau und Minsk – und starteten alsbald ihre ersten geführten Touren gen Osten. Herausragend war der 9. November 1989: Der Fall der Berliner Mauer läutete den Anfang vom Ende der DDR und in der Folge des Ostblocks ein. Endlich erlangten DDR-Bürger ihre lang ersehnte Freiheit. Für die hatten sie ihre friedliche Revolution auf der Straße losgetreten.

Die Hoffnung fallender Grenzen bewahrheitete sich, und die im EU-Recht verbriefte Freiheit bekräftigte: Reisen war und ist möglich. Erst recht mit dem Reisemobil, und zwar international. Ich selbst saß zu dieser Zeit noch für eine Motorrad-Zeitschrift im Sattel, vorzugsweise in Amerika. Doch der Drang, die Grenzen des eigenen Landes und Kontinents auszuloten, ereilte mich, als ich am 1. September 1995 bei Reisemobil International an Bord ging. Zu meinen redaktionellen Aufgaben gehört seit jeher, übers Reisen zu berichten. Etwa aus Bad Sachsa, wo Reisemobil International zusammen mit dem Harzer Verkehrsverbund am 17. Juni 1996 das Symposium „Reisemobilfreundlicher Harz“ durchführte. Eingeladen waren Vertreterinnen und Vertreter touristisch wichtiger Gemeinden mit dem Ziel, sie von der Notwendigkeit von Stellplätzen zu überzeugen. Wie ein Flügelschlag mit großer Wirkung: Seither stimmt im Harz die Infrastruktur.

Platz da: Einst durfte das Reisemobil an der Kaimauer des Stettiner Hafes parken. Die Kinder waren klein, die Urlaube prägend.

Daran, dass Stellplätze das A und O eines funktionierenden Reisemobil-Tourismus sind, hat sich nichts geändert. Wohl aber an den Ansprüchen der Reisemobilisten. Die Zeiten des sogenannten Viechtacher Modells von 1983, in denen der damalige Tourismusdirketor Ludwig Reiner ein Plätzchen im Zentrum der Stadt Viechtach einrichtete, auf dem die damals aus heutiger Sicht eher kleinen Freizeitfahrzeuge außerhalb eines Campingplatzes übernachten durften, sind lange vorbei.

Mittendrin dabei sein wollten die Wohnmobilisten, nicht draußen auf Campingplätzen. Für eine pure Fläche setzten sie sich ein, Strom und Bad hatten sie an Bord. Das sei ihnen genug. Heute freilich darf es ein bisschen mehr sein. Strom? Na klar. Ver- und Entsorgung? Gehört doch dazu. Ein eigenes Sanitärhaus? Wäre nicht schlecht. Reichlich Platz in bester Innenstadtlage? Versteht sich von selbst. Es gibt Städte und Gemeinden, die all diese Wünsche berücksichtigen. Sie können sicher sein: Ihre Stellplätze sind voll.

Übervoll: Zu den Kuschelcampern, die einem einzeln stehenden Reisemobil (was selten genug vorkommt) bis auf einen halben Meter auf die Pelle rücken (warum auch immer), kommen nun jene ungezählten Freizeitfahrzeuge, die nach dem Reisemobil-Boom das Straßenbild prägen. Die Freiheit, die ich meine, gibt es leider oft woanders. Das zwingt mich dazu, dorthin zu reisen, wo ich Platz finde. Lieber auf einen Stell- oder auf einen Campingplatz? Diese Frage diskutierte Reisemobil International in seiner Erstausgabe in der Rubrik „Pro und Contra“. Die gegensätzlichen Meinungen sind bis heute geblieben.

Für früher fast überlaufen: Stellplatz in Bad Schandau. Die Urlauber wanderten in der Sächsischen Schweiz.

Was sich geändert hat, das belegen Fotos aus früheren Zeiten: Damals war es einfach leerer. Das zeigte sich im Hafen von Altwarp am Stettiner Haff ebenso wie im sächsischen Bad Schandau oder im niederrheinischen Goch. Die vielen heute in Deutschland zugelassenen Reisemobile und ausgebauten Kastenwagen tauchen überall auf. Positiver Effekt: Nun kommen auch ländliche Regionen in den Genuss mobiler Gäste. Und das zu jeder Jahreszeit.

Einer der größten Meilensteine für mich: das Schengen- Abkommen (1985). Diese enorme Vereinfachung für den Reisemobilismus ist bis heute von großer Bedeutung. Nicht zu vergessen: die Wende 1989. Die damit einhergehende Reiselust brachte der gesamten Branche einen enormen Zuwachs.
Per Thiele, Inhaber Südsee-Camp Wietzendorf

Thematisierte Reisemobil International 1989 noch „Wintercamping mit dem Reisemobil: Mobiler Winterspaß oder Quälerei?“, hat ein Großteil der mobilen Urlauber die Frage nach der Reise in den Schnee längst beantwortet.

Ich selbst habe viele Jahre den Winter in Fieberbrunn, Tirol, genossen, wo unsere Kinder vom winterfesten Reisemobil aus in die Skischule staksen konnten. Später erst haben wir Kals in Osttirol für uns entdeckt – Nationalpark-Camping inmitten von Dreitausendern direkt an der Piste. Supi. Wo sich spannende Regionen verbergen, wussten auch schon die Macher der Erstausgabe von Reisemobil International.

Wenn auch manches Ziel kaum mit dem Mobil zu erreichen schien. Etwa die Kanareninsel Fuerteventura: „Die Anreise übers spanische Cadiz mit folgendem Fährtransport nach Las Palmas und Fuerteventura dauert locker drei bis fünf Tage. Billig ist die Fahrt auch nicht. Rund 1.300 Mark muss man für ein Reisemobil bis sechs Meter Länge kalkulieren.“ Angesichts eines durchschnittlichen Brutto-Monatseinkommens von 3.339 Mark ein erkleckliches Sümmchen.

Wintercamping ist mit modernen Reisemobilen schon lange kein Problem mehr.

Da schien ein anderes Eiland leichter zu bereisen. Entsprechend titulierten die Kollegen von damals: „Mit drei Motorhomes nach Korsika“. Skandinavien-Fans lockten sie mit einer unerwarteten Mischung für einen einwöchigen Kurzurlaub: „Südschweden: Lachse, Seen, Steinzeitmenschen“. Für zwei Wochenend-Trips empfahl die Erstausgabe Weingut Kloster Machern an der Mosel und Hermannsburg in der Südheide. Auch die Familie kam nicht zu kurz mit fünf Tipps zu kinderfreundlichen Campingplätzen quer durch die BRD. Freilich eher Abenteurern war diese Tour gewidmet: „Einmal im Leben – Sahara-Erlebnis“.

Bildergalerie

Seither hat sich Reisemobil International mächtig entwickelt. Leserinnen und Leser attestieren unserem Magazin einen sehr umfang- wie abwechslungsreichen Reiseteil. Dem Ruf nach den wichtigen Stellplätzen werden die Rubriken „Stellplatz-Check“, „Unterwegs entdeckt“ und „Stellplatz-Magazin“ gerecht. Die Reisen gliedern sich in „Städtetipp“ sowie mindestens einer kleineren und einer großen Reise. Deutschland bevorzugen hiesige Reisemobilisten nach wie vor. Auch die Dauer der Urlaube im Reisemobil hat sich verändert. Standen früher eher ein bis zwei mehrwöchige Fahrten pro Jahr auf dem Familienprogramm, touren heute lieber hauptsächlich Paare häufiger übers lange Wochenende.

Die letzten 35 Jahre hat sich so viel verändert und doch eigentlich nicht viel. Über die Jahre ist alles stetig moderner und komfortabler geworden, was Campern das Leben und den Urlaub leichter und nutzerfreundlicher macht. Es geht um Komfort, aber auch um Nachhaltigkeit und Langlebigkeit. Spannend, wo die Entwicklung hingeht.
Stefan Zierke, Präsident BVCD

Dass bei solchen Touren Schweden und Korsika eine untergeordnete Rolle spielen, versteht sich von allein – diese Ziele sind einfach zu weit weg für einen Kurztrip. Von der Sahara ganz zu schweigen. Aber wohin geht die Reise? Setzen wir uns zukünftig in ein virtuelles Reisemobil? Oder tanken wir tatsächlich Strom? Immerhin holen wir auf dem Stellplatz schon jetzt die E-Bikes aus der Heckgarage statt der früher üblichen normalen Fahrräder. Das Wichtigste aber: Bleiben die Grenzen so offen, wie wir sie in den letzten 35 Jahren in Europa kennen und lieben gelernt haben? Reisemobil International wird weiterhin berichten. Wird wie der sprichwörtliche Schmetterling mit den Flügeln schlagen. Damit für Sie, liebe Leserin, lieber Leser, auch künftig jederzeit Großes daraus resultiert.

Der Reisemobiltourismus hat sich aus der exotischen Nische in die Mitte der Gesellschaft bewegt. Die Produkte, der Fachhandel und das touristische Angebot haben sich insgesamt deutlich professionalisiert und einen Imagewandel hin zu einer trendigen Urlaubsform vollzogen.
Ariane Finzel, Geschäftsführerin DCHV
Redaktion
Claus-Georg Petri
Claus-Georg ist seit 1995 bei der Reisemobil International und ist Experte für Reisen und Hintergründe und alles Mögliche.
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