Malerische Dörfer, vom Meer umspülte Fischerhütten auf Stelzen und der größten Wandteppich Europas in Angers. Im Westen Frankreichs gibt es in der Region Pays de la Loire einiges zu entdecken, dennoch ist sie bei vielen Campern weitgehend unbekannt – höchste Zeit für ein Abenteuer.
Kerzengerade führt die Straße sanft auf und ab auf den Horizont zu. Schneidet Felder mit wogendem Weizen und Strohballen entzwei, um im nächsten Moment im Schatten eines Waldstücks abzutauchen. Dörfer mit hellen Fassaden, unverputzten Steinwänden und penibel geschnittenen Hecken ziehen an den Fenstern des Reisemobils vorüber. Die Region Pays de la Loire entfaltet ihren Zauber auf jedem Meter – und ist dabei weitgehend unbekannt.
Wer nach Frankreich reist, besucht Normandie und Bretagne, den Eiffelturm in Paris, die Schlösser im Loiretal und die Lavendelfelder der Provence. So wunderschön diese Ziele sind, schmälern doch Warteschlangen, langwierige Parkplatzsuche und die schiere Besucheranzahl das Erlebnis vor Ort.
Wie wäre es wohl, solche schönen Orte unerwartet auf einer Reise zu entdecken – ohne sie zuvor hundertfach auf Bildern gesehen zu haben?
Inmitten der beliebten Sehnsuchtsorte Frankreichs liegt die Pays de la Loire. Die französische Region an der Atlantikküste ist Heimat des Orangenlikörs Cointreau, verwahrt im Dunkeln des Schlosses Angers den Wandteppich der Apokalypse und lädt in ehemaligen Casinos am Hafen von Pornic zum Aperitif.
Mit 562 Campingplätzen und 500 Wohnmobil-Stellplätzen ist die Pays de la Loire ein wunderbares Reiseziel für Camper, die sich gern fern von überfüllten Orten und Sehenswürdigkeiten bewegen.
„Im Kreisverkehr geradeaus auf der Rue Saint-Nicolas bleiben“, weist die Stimme aus dem Navi an: Zielsicher leitet Google das Reisemobil direkt ins Zentrum von Sablé-sur-Sarthe – 50 Kilometer südwestlich von Le Mans. Der Campingplatz Municipal de l’Hippodrome liegt am Stadtrand auf der anderen Seite.
Trotz 2,30 Meter Breite zeigt sich der Teilintegrierte Benimar Tessoro 496 in den immer engeren Gassen manövrierfähig, nimmt die Lücken zwischen den am Rand geparkten Autos mit seinen 7,40 Meter spielerisch und lässt den Gegenverkehr passieren.
Die gepflasterte Straße quert einen Seitenarm der Sarthe: Über die mit Blumen geschmückte Mauer glitzert der schmale Flusslauf inmitten der Häuser. Kurz darauf erscheint an einer Rechtsbiegung ein imposanter Kirchenbau: Die neugotische Notre Dame de Sablé-sur-Sarthe mit Turmuhr und historischen Buntglasfenstern stammt aus dem 19. Jahrhundert. Doch die geparkten Autos lassen die Gassen immer enger werden. Ein skeptischer Blick auf die Routenführung im Display, wird von vier wild winkenden Besuchern aus dem Café am Straßenrand unterbrochen: Nach rechts, bloß nach rechts – statt, wie Google empfiehlt, nach links tiefer in die Innenstadt abzubiegen. Ein guter Rat: Dankbar rollen Fahrzeug und Insassen auf den breiten Stadtring – was für ein Abenteuer.
Vom Zauber der mittelalterlichen Gassen angezogen, wird zum Abendessen in die Innenstadt zurückgekehrt. Die ist mit dem Fahrrad vom Campingplatz in lediglich fünf Minuten zu erreichen.
Fünf Departements vereint die Region: Sarthe, Mayenne, Maine-et-Loire, Loire-Atlantique und Vendée. Sie entstanden, als Frankreich nach der französischen Revolution neu aufgeteilt wurde. Benannt nach den gleichnamigen Flüssen, nehmen Sarthe und Mayenne seit 1790 in etwa die ehemalige Provinz Maine ein.
Der alte Name ist jedoch nicht aus Mayenne verschwunden. Er findet sich auf dem Etikett einer Flasche „Pommeau du Maine“ des Apfelweinherstellers Ferme du Pressoir – ein traditioneller Aperitif aus Apfelmost und lokalem Calvados. Ebenso beim Besuch von Sainte-Suzanne-et-Chammes mit Spitznamen „Perle von Maine“: Die mittelalterliche Stadt zählt seit 2010 zu den schönsten Dörfer Frankreichs und ist eine der fast 200 französischen Kleinstädte mit Charakter.
Kein Wunder: Das Schloss von Sainte-Suzanne sitzt in 70 Meter Höhe über dem Tal der Erve auf einem Felsvorsprung. Entlang der Festungsmauern verläuft ein Panoramaweg. Auch durch die mittelalterlichen Dorfgassen lässt sich wunderbar flanieren und dem süßen Duft der Crêperie La Perle du Maine bis in den kleinen Laden am Dorfplatz folgen.
Trotz zahlreicher Auszeichnungen zählt Sainte-Suzanne weiterhin als Geheimtipp. Für einen Blick aus der Ferne erreichen Wanderer den gegenüberliegenden Hügel Tertre Ganne in nur 15 Gehminuten für ein Picknick mit herrlichem Blick auf das Renaissance-Schloss.
Vom Stellplatz in Sainte-Suzanne geht es zu den Manufakturen am Fluss Sarthe. 1924 entwickelte Émile Tessier in Malicorne-sur-Sarthe eine Technik, um Steingut filigran zu bearbeiten: Dabei werden mit einer scharfen Klinge feine Öffnungen in den rohen Ton geschnitten. Die feine Lochtechnik machte die Gemeinde Malicorne über ihre Grenzen hinaus bekannt: Aus seiner Keramikfabrik wurde die Faïencerie d’Art de Malicorne.
Noch immer werden alle Stücke handgefertigt. Im Schaufenster liegen glänzend glasierte Erdbeeren, Mandarinen und Feigen in verzierten Tonschalen. Die Keramikfrüchte sind ein echter Verkaufsschlager. Töpferei und Werkstatt befinden sich in den hinteren Räumen des Geschäfts. Fasziniert bleiben die Besucher am Arbeitstisch der Porzellanmalerin stehen. Mit sicherem Pinselstrich überträgt sie das bunte Motiv der neben ihr liegenden Zeichnung auf einen Teller. Stille kehrt ein – und so mancher hält den Atem an –, als könnte mit einer hektischen Bewegung der Pinsel verrutschen.
Nur 20 Kilometer entfernt lockt in Sablé-sur-Sarthe die Keks- und Schokoladenfabrik La Sablésienne mit feinem Buttergebäck: Das Rezept der berühmten Sablé-Biscuits wird seit 1670 von Generation zu Generation weitergegeben.
Einst dienten Kekse als Proviant auf See. Durch ein Loch in der Mitte fädelten die Matrosen die sogenannten Biscuits de mer an ihre Gürtel. Das Gebäck war jedoch steinhart und hatte wenig mit den feinen Butterplätzchen gemein, die heute zu Kaffee und Tee gereicht werden. Mit Schokolade und Keksen im Bauch geht es zurück zum Reisemobil.
Flussaufwärts der Sarthe thront im nächstgelegenen Solesmes am Ufer die Abtei Saint-Pierre. Das Benediktinerkloster blickt auf eine tausendjährige Geschichte zurück. Sieben Kilometer weiter wartet bei Avoise ein anderer Ort voller Geschichten: Das Château de Dobert befindet sich seit mehr als fünf Jahrhunderten in Familienbesitz. An bestimmten Tagen öffnet das Schloss für Besucher.
Eine besondere Erfahrung: Bei der Führung erzählen die Besitzer Anekdoten, gewähren einen Einblick in die Familiengeschichte und teilen Erinnerungen aus der Kindheit. In der Pays de la Loire bewohnen noch einige Eigentümerfamilien ihre Schlösser und Herrenhäuser, die ebenfalls Führungen anbieten.
In staatlicher Hand hingegen und öffentlich zugänglich steht im Herzen der Altstadt von Angers das historische Schloss – einzigartig mit seinen 17 Türmen aus dunklem Schiefer und hellem Kalkstein. Die Regentin Blanka von Kastilien veranlasste den Bau der königlichen Festung im 13. Jahrhundert. Die massive Festungsmauer, über die ein Wehrgang verläuft, zeugt von Macht.
Aber auch von Schutz: Hinter den dicken Mauern verbirgt sich der 103 Meter lange Wandteppich der Apokalypse vor Sonnenlicht und Mondschein – beides würde den rein aus Wolle gewebten Teppich beschädigen. Im Jahr 1375 hat ihn Herzog Ludwig I. von Anjou in Auftrag gegeben, sieben Jahre später wurde der Wandteppich fertiggestellt und 2023 in das UNESCO-Register „Memory of the World“ aufgenommen. Er zeigt über ein sechsteiliges Ensemble die Apokalypse oder Offenbarung des Johannes, das letzte Buch des Neuen Testaments: ein Kampf zwischen Gut und Böse.
Rund um das Schloss gibt es in der Altstadt unter den Fachwerkhäusern einige Sehenswürdigkeiten zu entdecken: Dazu gehören die Kathedrale Saint-Maurice und das historische Maison d’Adam.
Unbedingt sollten Reisende die Brennerei von Cointreau besichtigen: 1849 von den Brüdern Adolphe und Edouard-Jean Cointreau gegründet, wird der klassische Likör aus süßen und bitteren Orangenschalen noch immer komplett in Angers hergestellt – jährlich 15 Millionen Liter. Mit den Cocktail-Klassikern Margarita und Cosmopolitan zog die eckige Flasche aus braunem Glas weltweit in die Bars ein. Im Sommer erfrischend: der Cointreau Fizz mit Soda und Limettensaft.
Von Angers bis Nantes verläuft die Landstraße D751 ab Saint-Florent-le-Vieil in Teilen an der Loire. Bis zur Jadeküste südlich der Loire-Mündung sind es von der Hauptstadt der Pays de la Loire, Nantes, nur noch 50 Kilometer.
Rund um die Bucht von Pornic, einer Hafenstadt am Atlantik, wechselt sich wilde Küste mit Badebuchten und Sandstränden ab. Der Küstensaum lässt sich wunderbar mit dem Rad erkunden. Etwas abseits erstreckt sich um den Campingplatz Domain du Collet das Naturgebiet Le Marais breton. Aus der Vogelperspektive wirken die geraden Kanäle und Straßen wie ein weitläufiges Gitternetz.
Typisch für die Jadeküste sind die auf Stelzen stehenden Fischerhütten im Meer, sogenannte Carrelets. Mit dem Kayak können die großen, an Bögen aufgespannten Netze aus der Nähe begutachtet werden. Kayak Nomade bietet geführte Touren an.
Bei Ebbe liegen die Boote im Hafen leicht eingesunken auf dem Meeresboden. Auf dem Fischkutter Fleur des Ondes werden frische Austern, Meeresfrüchte und Schnecken serviert. Am Ufer lädt das Restaurant Marius mit Blick über die Schiffsmasten zum Aperitif auf die Dachterrasse – eines der vier ehemaligen Casinos.
Kaum zu glauben, wie viel es in der Pays de la Loire zu entdecken gibt. Doch die Reise neigt sich dem Ende. Schweren Herzens wird die Heimfahrt angetreten: Der Benimar gleitet durch die weite Hügellandschaft, die Gesichter im Fahrerhaus leicht von der Sonne gerötet. Ein Hauch von Salz liegt auf Haut und Lippen. Aus dem Radio tönt Edith Piafs „Je ne regrette rien“, während der wogende Weizen am Fenster des Reisemobils vorbeizieht. Und, die Sängerin hat recht: Den Abstecher ins unbekannte Frankreich gewagt zu haben, reut nicht – ganz im Gegenteil.
Infos und Adressen von Campingplätzen und Stellplätzen finden Sie im Artikel „Reise Pays de la Loire“ in der Ausgabe Reisemobil International 9/2025.
Zudem finden Sie Wohnmobil-Stellplätze online mit unserer Bordatlas-Stellplatzsuche.