Die Tourismuswirtschaft und somit auch die Campingwirtschaft sind von den Folgen des Coronavirus stark betroffen. Zur Abfederung der wirtschaftlichen Schäden sowie für eine stufenweise Wiedereinführung des Campingtourismus positioniert sich der Bundesverband der Campingwirtschaft in Deutschland e.V. (BVCD) immer wieder gegenüber der Politik, so wie mit einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin Ende März oder mit den Handlungsempfehlungen für Campingunternehmer zum Betrieb von Camping- und Wohnmobilstellplätzen während der Corona-Pandemie.
In einem internen Newsletter des BVCD vom 9. April an seine Mitglieder scheint der Verband allerdings über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Hintergrund: Entgegen der aktuellen Corona-Schutzverordnungen wird momentan vermehrt außerhalb von Camping- und Wohnmobilstellplätzen gecampt. Für die Dokumentation des Reisegeschehens sollen Campingplatzbetreiber Fotos und Orte der wilden Camper inklusive Namen, Fahrzeuge und Kennzeichen als Beweise festhalten. Ein gewagter Schritt. Viele Mitglieder sahen in dieser Forderung nach Transparenz eher ein Anprangern und Denunzieren von Campern. Ist der Verband über das Ziel hinausgeschossen, oder handelt es sich um eine Fehlinterpretation?
Reisemobil International sprach darüber mit Christian Günther, Geschäftsführer des BVCD, aber auch über positive Nachrichten: das Modellprojekt „Restart im Schlei-Ostsee-Tourismus“ in Schleswig-Holstein.
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RMI: Herr Günther, Ihr „Aufruf zur Verhinderung von illegalem Camping“ hat unter Campern weite Kreise gezogen und empörte Reaktionen ausgelöst, die im Shitstorm mündeten. Wollten Sie provozieren, um Aufmerksamkeit zu erregen?
Christian Günther: Natürlich werden wir als Verband auch einmal plakativ bis bissig, wenn es einer Sache dient. Bei diesem essenziellen Zukunftsthema für den gesamten Campingtourismus war es jedoch niemals unsere Absicht, jemanden zu provozieren. Deshalb tut es mir persönlich und als Geschäftsführer des BVCD aufrichtig leid, dass wir mit Formulierungen, die in einem internen Newsletter an unsere Mitglieder gingen, Fehlinterpretationen Vorschub geleistet haben. Das wollten wir wirklich nicht und würden es so heute auch nicht wieder tun.
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RMI: Wen und was genau wollten Sie denn eigentlich mit der Aktion erreichen?
Christian Günther: Wir wollten unsere Mitglieder ansprechen, damit sie das Reisegeschehen in ihren Regionen beispielhaft dokumentieren. Quasi als Untermauerung, welches Ausmaß das Reiseverhalten aktuell annimmt, obwohl oder gerade weil es auf offiziell vorgesehenen Plätzen seit Monaten verboten ist. Wir haben als BVCD schon am 3. März im Tourismusausschuss des Bundes darauf hingewiesen, dass sich das Reiseverhalten nicht unterdrücken lässt. Neben der Eindämmung von negativen ökologischen Auswirkungen ist die Öffnung der Camping- und Wohnmobilstellplätze aus Sicht des BVCD der erste Schritt zur Besucherlenkung im Campingtourismus und macht das Reisegeschehen transparent, somit nachvollziehbar in der Pandemiesituation. Dass an Ostern viele Menschen reisen werden, war unserer Meinung nach abzusehen. Von Seiten der Politik wurde dieses Problem nicht erkannt oder vermutlich einfach ignoriert. Um der Politik dies sichtbar zu machen, wollten wir den Umfang dieses Ausweichreiseverhaltens darstellen.
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RMI: „Hier werden Camper angeprangert und denunziert“ ist ein häufig gehörter Vorwurf. Steckt da ein Körnchen Wahrheit drin?
Christian Günther: Ganz bestimmt nicht, denn unser Ziel ist es ja, uns für Camper und Camping stark zu machen, statt einzelne anzuprangern. Um die Erfassung von Personen ging es uns nie, sondern um beson-ders heikle Spots und das Reisegeschehen in Gänze: An welchen Orten und vor allem im welchem Umfang wurde an Ostern gecampt? Das haben wir offensichtlich nicht klar und sensibel genug kommuniziert, und hier wiederhole ich mich gerne: Sorry, so, wie es bei vielen ankam, war es nicht gemeint!
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RMI: Aus welchen Gründen sollten Fotos und Orte der wilden Camper detailliert erfasst, auf einer Karte gezeigt oder eine Kartei von Namen, Fahrzeugen und Kennzeichen angelegt werden?
Christian Günther: Wenn wir gegenüber der Politik nur allgemein vom „Reisegeschehen“ und vage von „Beobachtungen“ sprechen, bleibt das vage und kann leicht in Frage gestellt werden. Daher sahen wir die Notwendigkeit einer konkreten Beweisführung. Eine Erfassung von Einzelpersonen, Namen oder Kfz-Kennzeichen war nicht beabsichtigt, denn diese Aspekte sind irrelevant im Sinne der Sache. Eine Kartei anzulegen, war keine Option. Die Darstellung in einer Übersicht ermöglicht es einfach besser, Umfang und Verteilung zu analysieren: Ist es ein lokales, regionales oder flächendeckendes Phänomen?
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RMI: Der Newsletter-Aufruf war ja Teil einer Kampagne, um das coronabedingte Beherbergungsverbot für Camping- und Stellplätze aufzuheben. Welche Maßnahmen gehören noch zu dieser Kampagne?
Christian Günther: Während der gesamten Krise hat sich der BVCD für die Branche stark gemacht und permanent den Dialog mit der Politik gesucht, um den Campingtourismus in Deutschland unter Einhaltung der Hygiene- und Schutzauflagen wieder zu ermöglichen. Gezielte Forderungspapiere, die Entwicklung von Öffnungskonzepten sowie ein Offener Brief an Kanzlerin Merkel sind nur einige Beispiele dafür, was der BVCD in der Corona-Krise für eine Öffnung der Campingplätze geleistet hat. Weiterhin bringen wir uns im direkten Dialog mit der Politik in Form von Einzelgesprächen und E-Mails ein. Darüber hinaus ist der BVCD auch in anderen Verbänden wie dem DTV oder dem Aktionsbündnis Tourismusvielfalt aktiv und integriert die Anliegen der Branche in die jeweilige Verbandsarbeit.
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RMI: Bisher haben diese Vorstöße bei der Politik nicht gefruchtet; offizielle Übernachtungsplätze für Camper sind immer noch geschlossen. Wie werden Sie weiter vorgehen, um Ihre Ziele durchzusetzen?
Christian Günther: Ich würde nicht sagen, dass die Vorstöße nicht gefruchtet haben: In der letzten Ministerpräsidentenkonferenz haben fünf Bundesländer die Öffnung der Campingbetriebe sowie Ferienwohnungen und -häuser in den Entwurf eingebracht. Tatsächlich war es sogar dieses Thema, welches zur langen nächtlichen Unterbrechung und großem Streit der Beteiligten gesorgt hat. Dies zeigt, dass un-sere Argumente hinsichtlich der Eignung des Camping angekommen sind. Nun wollen wir aufzeigen, dass die Menschen campen und reisen wollen und die Schließung der Betriebe keine wirksame Maßnahme darstellt. Vielmehr noch: Geregeltes Camping könnte zur Entzerrung und Entspannung beitragen. Die Menschen müssen raus, raus aus undurchsichtigen Situationen, raus aus den Innenräumen, raus aus der Enge der Großstadt und raus aus dem zermürbenden Dauerlockdown!
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RMI: Da der BVCD und seine Landesverbände nicht klageberechtigt sind: Wie und wann können Sie Ihre Forderungen doch gerichtlich durchsetzen?
Christian Günther: Wir als Verband können entsprechende Klagen ideell, finanziell, personell und organisatorisch unterstützen. Was wir benötigen, sind klagewillige Betreiber. In Baden-Württemberg unterstützen wir zusammen mit dem hiesigen Landesverband eine Klage von 14 Campingplätzen hinsichtlich der Gewährung von Dauercamping. Das Urteil erwarten wir in der nächsten oder übernächsten Woche. Zwei Lichtblicke im Norden gibt es am 19. April, denn dann öffnen im Zuge des Modellprojektes „Restart im Schlei-Ostsee-Tourismus“ die ersten beiden Campingplätze wieder für Touristen: der Ostsee-Campingplatz Familie Heide und Ostseecamping Karlsminde. Grundlage dafür ist die Einhaltung des BVCD-Handlungsleitfadens zur Wiedereröffnung von Camping- und Wohnmobilstellplätzen in Deutschland.
Infobox
Hier geht es zu den Forderungen des BVCD: Politische Forderungen des BVCD