Diesen Anblick müssen süditalienische Seefahrer geliebt haben. Unverwechselbar kündet die Silhouette, die sich geschwungen im Tyrrhenischen Meer abzeichnet, langgestreckt und doch überschaubar, von der Nähe zum italienischen Festland: Ischia, mit 46 Quadratkilometern die größte Insel im Golf von Neapel, ruht gegenüber dem quirligen Hafen Calata di Massa der Hauptstadt Kampaniens. Und doch liegen zwischen Neapel und dem Haupteiland der Phlegräischen Inseln Welten.
Denselben fantastischen Anblick erleben heute jene Reisemobilisten, die auf der Fähre ihrem abgelegenen Urlaubsziel entgegenschippern. Viel Zeit bleibt ihnen nicht: Gerade einmal 90 Minuten dauert es, bis der Dampfer in Ischia Porto anlegt und die Fahrzeuge aus dem Schiffsbauch ausspuckt. Auf geht’s zum einzigen Campingplatz auf Ischia: Der terrassierte Camping Mirage im Örtchen Barano birgt 50 parzellierte Standplätze unter Eukalyptusbäumen und Palmen, umgeben von Oleander und Bougainvillea. Wer hier unterhalb des steilen Felshangs strandet, blickt auf die Nachbarinsel Capri und die Halbinsel von Sorrent mit dem 1.281 Meter hohen Vesuv. Von der Ferienanlage direkt am schönen Maronti-Strand lässt sich Ischia gut erobern – auch ganz ohne Reisemobil, das sich ohnehin in all den engen Sträßchen nicht wohlfühlt.
Hier hilft Italia on tour: Das Reisebüro mit Sitz in Forio organisiert und begleitet Ausflüge, vermittelt E-Bikes, Roller oder Autos, die zum Campingplatz gebracht werden. Das alles funktioniert reibungslos dank der Chefin: Giovanna Napolano spricht fließend Deutsch und kennt die Insel wie ihre Westentasche. Wer gern mit dem Bus fährt: Vom Campingplatz befindet sich eine Bushaltestelle nur 200 Meter entfernt. Und über den Strand, das warme Wasser umspült die Knöchel, geht es drei Kilometer zu Fuß hinüber nach Sant’Angelo. Das ist nicht einfach ein Fischerdorf mit putzigen bunten Schuhkarton-Häusern.
Sant’Angelo verzaubert sogar eine Frau, die auf der Welt so ziemlich alles andere gesehen hat: Seit vielen Jahren verbringt Angela Merkel ihren Urlaub in dem Ort. Liebe- und respektvoll nennen die Insulaner ihren international geachteten Gast „Santa Angela di Ischia“ – den Engel von Ischia. Wer die Altbundeskanzlerin zufällig trifft, hat etwas zu erzählen. Wer solches Glück nicht hat, besucht die Fumarolen. Diese vulkanischen Austrittstellen dampfen und zischen und riechen nach dem unterirdischen Höllenschlund, dem die Gase entweichen. Auf Ischia gibt es 70 solcher begehrter Stellen. Sie wirken entspannend und heilend, das wussten schon die Römer.
Sie entdeckten mehr als 100 Thermalquellen und nutzten sie, etwa die Cava Scura (dunkle Höhle) in der Nähe von Sant’Angelo. Diese Anlage nahe am Maronti-Strand ist die wohl am längsten bekannte Therme auf Ischia. Der natürlich sprudelnde Quellort versteckt sich in einer Schlucht, in der es nie richtig hell wird. In der Bucht von Sorgeto indes verlocken warme Quellen sogar im Winter zu regenerierendem Baden mit therapeutischem Dampf. Auch beim größten Thermalpark Europas spielen die antiken Eroberer und Seefahrer eine Rolle. Es waren griechische Siedler, die ihre erste Kolonie auf einem Hügel über Lacco Ameno gründeten, jenem Ort, vor dessen Küste die charakteristische Felsformation Il Fungo wie ein Pilz aus dem Wasser wächst.
Später errichteten sie einen Tempel nahe des Citara-Strandes, wo sich heute einer der größten Thermalparks Europas befindet. Der 60.000 Quadratmeter große Poseidon-Thermalgarten gilt als sehr beliebt – wohl auch bei Angela Merkel, die hier gelegentlich entspannt. Der Garten, eingebettet in vulkanisch geprägte Umgebung, ist terrassenförmig angelegt und verfügt über einen botanischen Garten. In dem Komplex finden sich 23 Becken zwischen 28 und 40 Grad, Sauna in einer Naturgrotte aus Tuffstein, japanisches Bad, Warm- und Kaltparcours auf Kieselsteinen zur Durchblutungsanregung, Kosmetikund Kurabteilung, Boutique und Kiosk sowie drei Bars und Restaurants. Zu solcher Blüte kam es dank deutschem Einfluss: Den Garten hat 1962 der Humanmediziner Gernot Walde gegründet und in den 1970er-Jahren dem bayerischen Industriellen Ludwig Kuttner überlassen. Ein Jahrzehnt später übernahm die ebenfalls bayerische Familie Staudinger die Anlage, die sie seither weiter entwickelt.
Generell geht die kulturelle Größe Ischias zu weiten Teilen auf Einflüsse von außen zurück. Etwa La Mortella: Mit Blick auf die Bucht von Forio liegt dieses subtropische Gartenparadies im Ortsteil Forio-San Francesco. Das Anwesen mit kunstvoll angelegtem Park betört mit dem Duft der von Bienen und Schmetterlingen umschwirrten exotischen Pflanzen ebenso wie mit der zarten Liebesgeschichte von Lady Susanna und Sir William Walton. Der berühmte englische Komponist und Dirigent (1902 bis 1983) und seine argentinische Ehefrau waren so fasziniert von der Lebenslust der Ischitani und der natürlichen Vielfalt, dass sie sich hier niederließen. Gemeinsam schuf das Paar ihr pompöses Zuhause mit Teichen, Pavillons und Brunnen. Der Sonnentempel im Herzen des Geländes zeugt von ihrer goldenen Liebe. Ergänzend lassen sich Gäste gern von Luca D‘Ambra durch den exotischen Giardini Ravino führen, ebenfalls in Forio. Sein Vater Giuseppe, ein Hochsee-Matrose, brachte von seinen Reisen Säcke voll Samen und Ablegern seltener Pflanzen mit und schuf eine der umfangreichsten Sukkulenten-Sammlungen Europas. Geheimtipp: Unbedingt den leckeren Kaktuscocktail probieren.
Dass viele Völker und Kulturen Ischia prägten, zeigt sich sogar in der Sprache: In den sechs Gemeinden der Insel sprechen die Menschen ihren jeweils eigenen Dialekt, um damit ihr Erbe zu bewahren. Maurische, griechische und byzantinische Einflüsse finden sich in der Wallfahrtskirche Madonna del Soccorso, dem Wahrzeichen der Gemeinde Forio. In den winkeligen und teils sehr engen gepflasterten Gässchen sind außerdem Zeugnisse der türkischen Eroberer sichtbar. Etwa der imposante Torrione, einer von zwölf Wachtürmen, die vor Eindringlingen warnen sollten – nicht ohne Grund: Tatsächlich raubten und vergewaltigten die Sarazenen die Bewohner der Insel, versklavten und verschleppten sie. Um sich zu schützen, flohen die Einwohner in die Hänge des Monte Epomeo, 789 Meter hoher Schicksalsberg und Symbol Ischias. Dort verbargen sie sich in Höhlenwohnungen, die bereits in der Antike als Behausung bei Vulkanausbrüchen in vom Berg abgerutschte Monolithen gehauen wurden. Diese Wohnstätten sind bei einer Wanderung durch die Kastanienhaine im Falanga-Wald zu besichtigen. Noch heute dienen sie Hirten und Jägern als Unterschlupf. Apropos Wandern: Praktisch an jeder Ecke der Insel eröffnen sich Blicke auf kilometerlange Strände, heimelige Buchten und wuchtige Felsen, die ihre Nase über in der Sonne glitzerndes kristallklares Wasser strecken.
Überall auf der Insel umrahmen Parracine, typische Trockenmauern aus grünem Tuffstein, die Weinberge. Deren Reben schmiegen sich von allen Seiten an den Epomeo und bringen den charakteristischen Ischia bianco mit fruchtig-zarter Note hervor. Dieser Weißwein darf auch als Sekt oder als superiore angeboten werden und muss aus 45 bis 70 Prozent Forastera- und 30 bis 55 Prozent Biancolella-Trauben bestehen. Seine Farbe changiert ins Strohgelb, er duftet angenehm floral und fruchtig. Ischia Doc bianco ist trocken, mittelmäßig strukturiert und harmonisch mit Mandelnoten. Er passt hervorragend zum Fisch der süditalienischen Küche. Im Punta Chiarito Resort, 50 Meter über der Bucht von Sorgeto, gibt es diesen leckeren Tropfen zu kosten. Nicola Ruffano höchstpersönlich, wahrscheinlich bekanntester Winzer der Insel, liebt sein Handwerk und kredenzt stolz seinen Gästen die Früchte seiner Arbeit. Geheimtipp: Gäste schwimmen hier in Thermalwasser unterirdisch quer durch einen Felsen. Die zerklüftete Küste erlaubt aber auch ein sicheres Bad in abgelegenen Buchten. Ein Genuss ist es, sich auf den vulkanischen Felsen in der wilden Natur von Punta Caruso zu sonnen.
Natürlich lohnt es sich auf Ischia, mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Zum Glück gibt es auf der Insel viele Kirchen und fast immer irgendwo ein Fest. Das berühmteste ist das Fest von St. Anna am letzten Juli-Wochenende: Schon in der Antike brachten Fischer ihre schwangeren Frauen auf geschmückten Booten zur Kapelle in der Cartaromana-Bucht, um für eine glückliche Geburt zu beten. Später wurde das schönste Boot prämiert. Inzwischen stellt jede Gemeinde ein schwimmendes Theater mit Laien-Darstellern, die auf Flößen nach Ischia Ponte ziehen. Die Preisverleihung gipfelt in einem fulminanten Feuerwerk. Aber selbst wenn nicht offiziell gefeiert wird, können es sich Gäste auf Ischia gutgehen lassen.
Besonders berühmt ist die Rive Droite, die rechte Hafenseite von Ischia Porto, mit hübsch eingerichteten Lokalen, die frische Meeresfrüchte servieren. Unbedingt empfehlenswert ist dort das Portobello, dessen junge Betreiber sich herzlich um das Wohl der Gäste kümmern und ihren eigenen Wein servieren. Die Via Roma mit Restaurants und Bars lädt abends zu einem vergnüglichen Bummel durch die schicken Boutiquen mit italienischer Mode und Läden ein. Außer Landwirtschaft und Weinbau gehört Keramik zu den typischen Handwerken auf der Insel Ischia. Eine weitere Tradition ist das Sticken – und das Ansetzen von Nocillo, einem süffigen Nussschnaps. Der Duft Ischias präsentiert sich in Familienbetrieben wie dem von Serpico im Herzen Forios. Seife, Kerzen und Gewürze, liebevoll als Urlaubs-Mitbringsel verpackt, halten zu Hause eine die Sinne betörende Erinnerung an die Zeit auf Ischia wach. Bei so vielen fantastischen Eindrücken wird spätestens auf der Fährüberfahrt zurück ans Festland klar, warum süditalienische Seefahrer den Anblick ihrer Insel so geliebt haben müssen.
Infobox
Camping Mirage, Spiaggia dei Maronti, I-80070 Barano, Tel.: 0039/347/3781562, www.campingmirage.it, geöffnet: 1. April bis 31. Oktober.