Hohe Berge und Wintersport, Schokolade und Fondue – dafür steht die Schweiz. Doch im Westen, genauer gesagt zwischen dem Jura-Hügelzug, dem Dreiseenland und dem Genferseegebiet, zeigt sich die Schweiz von einer anderen, weniger bekannten Seite. Diesen Abwechslungsreichtum in Landschaft und Architektur, aber auch in der Vielzahl an genussvollen Momenten haben die Stellplatztester nicht erwartet. Umso größer sind die Freude und der Drang, dieses andere Gesicht des Nachbarlandes einmal vorzustellen: Die Schweiz – mehr als ein reines Transitland auf dem Weg in den Süden.
Bei allen Vorschusslorbeeren soll auch die andere Seite der Medaille nicht verschwiegen werden: Die Schweiz ist ein teures Pflaster. Stolze 5,50 Schweizer Franken für eine Kugel Eis bedürfen keiner weiteren Worte. Auch was die Stellplätze betrifft, sehen wir, das Testteam von Reisemobil International, Nachholbedarf. Diesmal geht eine junge Familie auf die Suche nach guten Übernachtungsplätzen. Zwar ist die Schweiz gesegnet mit zahlreichen, gut ausgestatteten Campingplätzen, allerdings lässt die Anzahl offizieller Reisemobil- Stellplätze in beliebten Gegenden wie dem Genfer See zu wünschen übrig. Dieser Umstand wird der Region nicht gerecht. Speziell vor dem Hintergrund, dass Freistehen kantonal geregelt wird, also nicht einheitlich gesagt werden kann, ob wildes Campieren erlaubt oder verboten ist, bedarf es ein wenig mehr Planung und Recherche im Vorfeld. Darunter leidet die Flexibilität.
Bielersee – Uhren und Wein
Der erste Stopp im Dreiseenland erfolgt von Norden aus am Bielersee (französisch: Lac de Bienne). In Port, einem Vorort von Biel, parken wir das Reisemobil auf dem Bauernhof „Am Kanal“. Alternativ bietet sich der noch relativ neue und gepflegte Stellplatz in Orpund an. Direkt am Fahrradweg gelegen, ist es von hier ein Katzensprung nach Biel. Wir bevorzugen allerdings das Bauernhof- Ambiente: Auf dem leicht erhöhten, von Kirschbäumen umgebenen Stellplatz, den wir vorab reserviert haben, genießen wir die Ruhe, den schönen Ausblick über den Fluss Aare und am nächsten Morgen frische Eier direkt vom Hof.
Mit dem Fahrrad geht es von hier aus in wenigen Minuten über den Fluss nach Biel. Die größte zweisprachige Stadt der Schweiz gilt als die Wiege der Schweizer Uhrenindustrie, ein Besuch im Omega Museum ist für uns daher Pflicht. Am nächsten Tag folgen wir der Route 5 am Ostufer des Bielersees. Die von terrassierten Weinbergen geprägte Landschaft mutet beinahe südländisch an.
Unterwegs laden die drei deutschsprachigen Winzerdörfer Tüscherz, Twann und Ligerz zu einem Halt und einer Weindegustation ein. Aber auch Wanderungen durch die Rebhänge belohnen die vielen Aussichtspunkte mit schönen Ausblicken auf den See, die St. Petersinsel bis hin zur Alpenkette.
Wir passieren die Sprachgrenze und werden fortan mit Bonjour, immer seltener mit Grüezi begrüßt, aber auch ohne Fremdsprachenkenntnisse steht einer Konversation mit den Schweizer Gastgebern nichts im Wege – eine Verständigung auf Deutsch ist bis nach Genf fast überall möglich. Vom kleinen, gemütlichen und zum Zeitpunkt der Tour restlos ausgebuchten Campingplatz in Le Landeron lässt sich die St. Petersinsel, genau genommen eine Halbinsel, wunderbar erkunden. Im 18. Jahrhundert beherbergte das reizvolle Eiland für einige Wochen den in Genf geborenen Philosophen Jean-Jacques Rousseau.
Murtensee – von Römern und Rittern
Wir steuern den zweiten und kleinsten der drei Jurarandseen an, den Murtensee (französisch: Lac de Morat). Ziel ist der Parkplatz am Ortsrand von Murten, direkt am Wasser und der Marina. Der obere Teil ist Mobilen vorbehalten und sehr üppig ausgelegt, auch wenn auf dem schmalen Parkstreifen beim Rangieren Vorsicht geboten ist. Außer einem WC bietet der Platz nicht viel, aber Lage und Aussicht auf den See sowie das vielfältige Wassersportangebot vor Ort sind top.
Der Murtensee ist ein beliebter Badesee, der sich im Sommer bestens für Segelsport und Stand-up- Paddling eignet – entsprechend schnell wird es eng auf dem Gelände, gerade an Wochenenden und Feiertagen. Vom Stellplatz schlendern wir über die Seepromenade in das nahe 800-jährige Zähringer-Städtchen Murten.
Die Kleinstadt besticht mit einer mittelalterlichen Altstadt, wie sie im Buche steht: die begehbare, fast vollständig erhaltene Stadtmauer mit Ausblicken über den See Richtung Mont Vully, gemütliche Laubengänge und malerische Gassen sowie zahlreiche Cafés – perfekt, um die Seele baumeln zu lassen.
Tipp: Konditorei Aebersold. Unbedingt Nidelkuchen probieren, eine Spezialität Murtens. Mächtig (und) lecker. Am Südufer, unweit des Campingplatzes Port Plage mit Sandstrand, ist das Römerstädtchen Avenches einen Abstecher wert – am besten per Fahrrad. Zeugnisse der Vergangenheit finden sich fast überall in der Landschaft verstreut. Neben dem römischen Museum beim Amphitheater besichtigen Gäste auf den Feldern Überreste der ehemaligen Umfassungsmauer, der Tempelanlage Cigognier und der Thermen von Aventicum, der ehemaligen antiken Hauptstadt der Helvetier.
Neuenburgersee – Prähistorisches und Schifffahrt
Der dritte und größte See im Dreiseenland trägt den Namen des Ortes Neuenburg, (französisch: Neuchâtel). Den Neuenburgersee prägt im Norden großflächige Reblandschaft, während sich am Südufer das größte Sumpfgebiet und Vogelparadies der Schweiz erstreckt. Mit zwei Stellplätzen hat sich das aus gelbem Sandstein erbaute Neuchâtel bestens auf mobile Reisende eingestellt, wobei der ruhig und näher am Ort gelegene Platz an der Route des Falaises zu bevorzugen ist. Durch die Lücken zwischen den Häusern lässt sich ein Blick auf den See erhaschen. Aber Achtung bei der Anfahrt per Navi: Im langen Tunnelnetz hat das GPS öfters seinen Dienst quittiert und das Navi Abfahrten zu spät angesagt, was zu einer nervenaufreibenden, unterirdischen Odyssee geführt hat.
Lohnenswert ist von hier ein Ausflug in das Laténium. Das größte Archäologiemuseum der Schweiz samt Park steht an drei prähistorischen Fundstellen und zeigt Exponate aus dem Mittelpaläolithikum bis heute. Auch wer die ganze Kulisse einmal vom See aus erblicken möchte, ist hier richtig: Der Hafen eignet sich für Schifffahrten in das Mittelalterstädtchen Estavayer-le-Lac oder dank zahlreicher Kanäle für ausgedehntes Seen-Hopping.
Creux du Van – Ruhe und atemberaubende Ausblicke
Wir folgen der Route de la Montagne, einer kurvigen, nicht zu engen und auch mit einem Malibu-Integrierten gut befahrbaren Bergstraße von Saint-Aubin-Sauges bis hinauf zum Bergrestaurant Le Soliat. Auf dem unebenen Parkplatz ohne jegliche Serviceeinrichtungen ist es laut Besitzer kein Problem zu übernachten. Eine Einkehr wird natürlich gern gesehen. Die Belohnung folgt am nächsten Morgen mit einem grandiosen Sonnenaufgang. Nur wenige Meter von hier den Hang hinauf erwartet uns ein Naturspektakel: 60 Meter hohe, senkrechte Felswände umschließen einen vier Kilometer langen und über einen Kilometer breiten Talkessel – nur gut für Schwindelfreie.
Die fehlenden Absperrungen lassen den Puls zusätzlich in die Höhe schnellen, aber der Ausblick in den Kraterrand auf die Felsformationen ist atemberaubend. Wer diesen Höhentrip scheut und lieber auf Seehöhe bleibt, der übernachtet in Saint-Aubin-Sauges. Der Stellplatz dort, seit einem Hotelbau leider geschrumpft und oft mit Booten zugeparkt, bietet Strom und Wasser. Er liegt direkt am Hafen.
Genfer See – Genf, die kleinste Metropole der Welt
Wir kehren dem Dreiseenland den Rücken und wagen eine größere Etappe nach Genf. Aus Mangel an Übernachtungs-Alternativen fällt die Wahl auf den wirklich schönen Campingplatz im Vorort Vésenaz. Gepflegt, saubere Sanitäranlagen, großzügige Parzellen und nur sechs Kilometer von Genf entfernt. Das Busticket für den Nahverkehr ist inklusive und tröstet ein wenig über den hohen Preis hinweg. Schöner ist es jedoch, mit dem Fahrrad – nach einem kurzen, knackigen Berganstieg – die Promenade bis in das Herz der wohl internationalsten Stadt der Schweiz entlangzufahren.
Vorbei geht es an der 140 Meter hohen Wasserfontäne Jet d’Eau, an Badestränden mit Sand und der Horloge Fleurie, einer Uhr aus Blumen im Englischen Garten als Symbol der Genfer Uhrenindustrie. In Genf befindet sich der europäische Sitz der UNO, und das Internationale Rote Kreuz steuert von hier aus seine humanitären Aktionen weltweit.
Lausanne – Olympia-Hauptstadt
Am Nordufer des Genfer Sees (französisch: Lac Léman) liegt die Olympia-Hauptstadt Lausanne. Seit 1914 hat das Internationale Olympische Komitee hier seinen Sitz, ebenso das Olympische Museum wie das weltweit größte Infozentrum rund um die Spiele. Es zeigt mit Computertechnik und audiovisuellen Medien Athleten und Geschichte der Spiele von der Antike bis heute. Nicht wirklich einladend, aber gut ausgestattet und für die Stadtbesichtigung gut gelegenen, ist der Stellplatz vor dem Campingplatz Vidy direkt neben den Ruinen des antiken gallorömischen Vicus Lousonna. Schöner Service: Eine Karte für den ÖPNV ist auch hier – wie in Genf – im Übernachtungspreis inklusive. Perfekt, um die lebendige Stadt zu besichtigen.
Lavaux – Wein und Welterbe
Wir verlassen Lausanne und tauchen ein in eine einzigartige Landschaft: Die Weinberg- Terrassen des UNESCO-Welterbes Lavaux bilden mit 800 Hektar Rebfläche das größte zusammenhängende Weinbaugebiet der Schweiz. Die steilen Weinberge profitieren in puncto Wärme in gleich dreierlei Hinsicht: Sie entfaltet sich direkt von der Sonne, von der Reflexion der Seeoberfläche und aus der gespeicherten Wärme der unzähligen Steinmauern.
Von jeder Ecke an den steilen Hängen lassen sich traumhafte Ausblicke auf den See und die hohen Berge genießen – und anschließend ein Glas Chasselas, unbestritten die Königsrebsorte der Region. Dieser Genuss gelingt am besten in einem der kleinen Winzerorte St-Saphorin, Dézaley und Epesses. Einziger Nachteil: Mit dem Reisemobil wird es hier eng, und zu parken ist fast aussichtslos. Aber zum Degustieren bleibt das Wohnmobil sowieso am besten stehen – es empfiehlt sich, das wunderschöne Fleckchen Erde zu Fuß, mit dem Rad oder im blau-gelben Zug „Train des vignes“ zu erkunden.
Montreux – Jazz und Mittelmeeratmosphäre
Stellplätze sind auch an der sogenannten Riviera, einem Abschnitt am Genfer See, Mangelware: Zwischen Vevey und Montreux besteht in Autobahnnähe die einzige Möglichkeit, abseits eines Campingplatzes zu nächtigen. Der Stellplatz auf einem P+R-Parkplatz hat allerdings wenig Charme, dafür ausreichend Platz und eine Entsorgungsstation. Von hier aus fahren Busse nach Montreux. Empfehlenswerter jedoch ist der winzige Campingplatz La Maladaire, einzigartig an einem schmalen Uferstreifen gelegen. Auch der Campingplatz in Noville, ein paar Kilometer außerhalb von Montreux, eignet sich sehr gut als Ausgangspunkt, die Region mit Bike oder Bahn zu erkunden.
Gesagt, getan: Mit dem Rad geht es vorbei am traumhaft auf einem Felsen am See gelegenen Schloss Chillon. Die Wasserburg diente jahrhundertelang den Grafen von Savoyen als Wohnsitz. Weiter am See entlang ist Montreux nicht mehr weit. Die Stadt ist weltweit bekannt für das alljährliche Jazzfestival und lockte bereits Größen wie Freddie Mercury an, dem an der Promenade eine Statue gewidmet ist.
Das Mikroklima erzeugt gemeinsam mit der mondänen Architektur einen Hauch von Mittelmeeratmosphäre – Dolce Vita in der Schweiz. Das Ende der Tour rückt näher und führt gen Norden Richtung Deutschland. Doch einen Zwischenstopp für die Sinne lassen wir uns nicht nehmen.
Gruyère – der Ruf des Käses
Käseliebhaber dürften beim Klang dieses Ortsnamens aufhorchen: Der Le Gruyère AOP ist hier, in der Mitte des Greyerzerlandes, nahe den Alpweiden zu Hause. Der charaktervolle, würzige Hartkäse ist weit über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt und nicht nur von Gourmets – und dem Verfasser dieser Zeilen – geschätzt. Unbedingt lohnt sich ein Abstecher in das Maison du Gruyère. Das Thema wird in dieser Schaukäserei touristisch ausgeschlachtet, allerdings nicht im negativen Sinn. Eine interaktive Ausstellung vermittelt Sinneseindrücke – Kuhglocken lauschen, Alpenheu und Kräuter riechen – von einer Galerie aus lässt sich die Käseherstellung beobachten und das Ergebnis anschließend im Restaurant verkosten.
Die Wahl auf diesen Zwischenstopp entlang der Rückreiseroute fällt obendrein aus einem anderen Grund: Der Ort selbst liegt auf einem Hügel und ist sehenswert. Perfekter Ausgangspunkt für einen Bummel durch das verkehrsfreie, malerische Ensemble aus Fachwerk und Gassen ist der Stellplatz auf P3. Die Übernachtung ist hier ausdrücklich erlaubt. Es gibt zwar keine Serviceeinrichtung, aber dafür jede Menge Platz. Gruyère, ein Fest für die Sinne und ein wahrlich königlicher Abschluss dieser Tour – und dann wäre da ja noch das quasi um die Ecke liegende Maison Cailler, ein Schokoladentraum.
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